Kletterkünstler auf Erkundungstour – der ASV Schleswig ergreift Maßnahmen gegen invasive Flusskrebse
Ein Beitrag von Kai Lehmann unter Mitarbeit von Tim Engelhardt, Norbert Kubisch, Günther Schottenhammel uvm.
Ausbreitung und Verdrängung sind wichtiger Bestandteil natürlicher Vorgänge in Gewässern, doch begünstigt durch menschliche Aktivitäten wie Schiffsverkehr und Aquarienhandel haben in den vergangenen Jahrzehnten ungewöhnlich viele Neubürger Einzug in unsere limnischen Ökosysteme gehalten.
Für den ursprünglich in Mitteleuropa und auch in Schleswig-Holstein weit verbreiteten europäischen Edelkrebs Astacus astacus ist vor allem die Ausbreitung der zum Zwecke der Aquakultur eingeführten, nordamerikanischen Flusskrebsarten Kamberkrebs und Signalkrebs eine ernste Bedrohung. Nur selten gibt es die Möglichkeit, deren Ausbreitung zu stoppen und damit einen der letzten freilebenden Edelkrebsbestände zu erhalten.
Ausgangssituation
Der Angelsportverein Schleswig e.V. hegt seit vielen Jahren ein Gewässer, welches einen der größten und vitalsten Edelkrebsbestände in Schleswig-Holstein beheimatet. Wie bei vielen Seen im Hügelland handelt es sich um ein Seeausflussgewässer, an dessen Abfluss ein Mühlenbauwerk seit langem die natürlichen Wanderungsbewegungen der Fischarten und anderer
Gewässerorganismen verhindert hat. Wanderbarrieren sind aus gewässerökologischer und fischereibiologischer Sicht prinzipiell unerwünscht. In dem hier beschriebenen Fall hat die Barriere jedoch dazu geführt, dass die seit einigen Jahrzehnten in der Au unterhalb der Mühle aufgetretenen und inzwischen massenhaft vorhandenen Signalkrebse nicht in den See einwandern konnten – der Edelkrebsbestand entwickelte sich unbeeinträchtigt und besitzt seit langem eine überregionale Bedeutung für den Erhalt der Art. (Foto: Edelkrebse besitzen eine gekörnte Scherenoberfläche und eine rote Gelenkhaut)
Im Sommer 2013 wurde festgestellt, dass die Signalkrebse als wahre Kletterkünstler in der Lage sind, die Barriere, die das Mühlenbauwerk über Jahrzehnte dargestellt hat, zu überwinden. Der Bewuchs an den Betonwänden bot den Krebsen ausreichend Halt und daher lag die Vermutung nahe, dass sie über kürzlich entstandene Ritzen und Risse im Beton und im Schott auch ins Oberwasser und damit in den Edelkrebsbestand einwandern können. Umgehende Befischungen in Zusammenarbeit mit der Abteilung Limnologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel erbrachten dann auch Nachweise einzelner adulter Signalkrebse oberhalb der Wanderbarriere. Es ist bekannt, dass diese Signalkrebspopulation den Krebspesterreger nicht trägt (grundsätzlich können Signalkrebse den Krebspesterreger übertragen!). Eine Etablierung einer Signalkrebspopulation würde dennoch durch verschiedene Verdrängungsmechanismen langfristig zu einem Verschwinden des Edelkrebsbestands führen.
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Das Projekt
Unterstützt vom Landessportfischerverband Schleswig-Holstein e.V., gefördert mit Mitteln aus der Fischereiabgabe und fachlich begleitet von der Abteilung Limnologie des Zoologischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wurden seitdem eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um die Etablierung einer reproduzierenden Signalkrebspopulation im Oberwasser zu verhindern und dadurch den Edelkrebsbestand langfristig zu erhalten. Dies wäre ein beispielloser Erfolg für den Erhalt der heimischen Fauna.
Nach Nachweis der ersten Signalkrebse (Foto: Deutlich zu erkennen ist bei diesem männlichen Signalkrebs der namensgebende, helle Signalfleck am Scherengelenk) wurde umgehend die Wirksamkeit der Wanderbarriere durch einfache bauliche Maßnahmen wieder hergestellt, Mitglieder des ASV über die Problematik informiert und ein Konzept für eine umfassende Gefährdungsanalyse unter Einbeziehung des gesamten Einzugsgebiets und der dortigen Fischereiberechtigten erarbeitet. Im Projekt werden in allen angrenzenden Gewässern regelmäßig Reusenbefischungen durchgeführt, um einen Überblick über die Gefährdung des Edelkrebsbestands durch andere Flusskrebsarten zu erhalten.
Vor allem werden während der Hauptaktivitätsphasen der Flusskrebse im Sommer und Herbst intensive Reusenbefischungen durchReusenbefischungen Mitglieder des ASV durchgeführt. Diese Befischungen dienen in erster Linie der Entnahme der Signalkrebse aus dem Edelkrebsbestand und dokumentieren gleichzeitig eine mögliche Ausbreitung dieser invasiven Krebsart. Neben den einzelnen Signalkrebsen werden mit den verwendeten Reusen vor allem Edelkrebse gefangen, die nach dem Fang wieder in das Gewässer zurückgesetzt werden. Zuvor werden eine Vielzahl von Daten über den Edelkrebsbestand erfasst, die dazu dienen sollen, in Zukunft die Populationsdynamik von Edelkrebsen in unseren Gewässern besser zu verstehen um gezielte Maßnahmen zum Schutz der Art durchführen und vor allem deren Erfolg bewerten zu können.
Und die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend:
1. Es wurden nur in unmittelbarer Nähe der Wanderbarriere Signalkrebse nachgewiesen
2. Eine Ausbreitung im Hauptteil des Gewässers hat nicht stattgefunden
3. Es wurden ausschließlich adulte Signalkrebse gefangen, Reproduktionsnachweise bei Signalkrebsen blieben aus
4. Die Anzahl der gefangenen Edelkrebse liegt relativ konstant um den Faktor 10 bis 40 über der Anzahl der Signalkrebse
5. in den anderen Gewässern des Einzugsgebiets konnten bislang ausschließlich Edelkrebse nachgewiesen werden
Es gibt viele Hinweise darauf, dass unter den vorliegenden Bedingungen eine Ausbreitung der invasiven Signalkrebse verhindert und der Erhalt bedeutender Edelkrebspopulationen erreicht werden kann, wenn die Maßnahmen mit hoher Intensität weiter geführt werden. Für andere Gewässer kann der Schluss gezogen werden, dass für eine erfolgversprechende Bekämpfung invasiver Krebsarten das rechtzeitige Erkennen der Gefährdungssituation eine zentrale Voraussetzung ist. Dies kann im Einzelfall nur durch genaue Kenntnis der aktuellen Verbreitungssituation erreicht werden.
Hintergrund
Die Ausbreitung von Tier- und Pflanzenarten über ihr bestehendes Verbreitungsgebiet hinaus ist ein wichtiger natürlicher Prozess. Das Ausbreitungsvermögen der Arten beispielsweise passiv über Samen oder aktiv über Wanderungen leistet dabei einen zentralen Beitrag zur Anpassung des Arteninventars eines Lebensraums an sich verändernde Umweltbedingungen. Zusätzlich zu den natürlichen Ausbreitungsvorgängen trägt der Mensch durch seine Aktivitäten schon seit langem gewollt und ungewollt zur Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten bei. In Bezug auf limnische Arten sind die Regenbogenforelle Onchorhynchus mykiss oder auch die Schwarzmundgrundel Neogobius melanostomus bekannte Beispiele für Fischarten, deren Ausbreitung durch menschliches Zutun gefördert oder ermöglicht wurde.
Die Abgrenzung von eingeführten Fremdarten zu heimischen Arten ist zum Teil schwierig (vgl. link hier auf Fischschutz.de), jedoch spricht man gemeinhin erst, wenn sich eingeführte Arten etablieren konnten, ihre Ausbreitung schnell verläuft und zudem – nach aktuellem Kenntnisstand – mit negativen Auswirkungen auf die bestehende Artengemeinschaft verbunden ist, von invasiven Arten.
Unter den Flusskrebsen ist in Schleswig-Holstein nur der Edelkrebs Astacus astacus natürlicherweise verbreitet. Zudem gibt es aber mit dem Signalkrebs Pacifastacus leniusculus, dem Kamberkrebs Orconectes limosus und dem Galizischen Sumpfkrebs Pontastacus leptodactylus noch drei nicht einheimische Arten, die reproduzierende Bestände im Land aufgebaut haben. Von den genannten Arten sind der Kamberkrebs und der Signalkrebs als invasiv anzusehen, da sie zum einen Überträger der Krebspest (vgl. link hier auf Fischschutz.de) sein können, die innerhalb kurzer Zeit ganze Bestände des Edelkrebs (und auch anderer Europäischer Flusskrebsarten wie des Galizischen Sumpfkrebs!) auslöscht. Zum anderen sind sie dem europäischen Edelkrebs in Bezug auf Nachkommenzahl, Wachstumsraten und direkte Konkurrenz überlegen. Dies führt dazu, dass bei Einwanderung von Kamber- oder Signalkrebsen in Gewässern mit Edelkrebsen der Bestand an Edelkrebsen mit hoher Wahrscheinlichkeit mittelfristig verschwindet (u.a. Westman & Savolainen 2001).
Kontakt:
ASV Schleswig v. 1932 e. V.
Wolfgang Reins (1. Vorsitzender)
Brekling 2
24881 Nübel
Telefon 04621/20275
eMail: info@asv-schleswig.de
Dipl. Umweltwiss. Dr. Kai Lehmann
Zoologisches Institut der CAU Kiel
Abteilung Limnologie
Am botanischen Garten 9
24118 Kiel
eMail: klehmann@zoologie.uni-kiel.de